In Zusammenarbeit mit dem Förderverein „Hilfen für Wohnungslose“ und der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie stellt das Evangelische Dekanat noch bis Ende Mai die Fotografien von „Ratsche“, „Samet“ und Roland Bodenschatz – drei Künstlern ohne Wohnsitz – im Haus der Kirche aus. Der Titel lautet „Ansichtssachen“.

Dekanat Bergstraße. Menschen ohne Wohnsitz sind nicht wirklich unsichtbar – und sie sind es aber häufig doch: Weil sie sich nicht wirklich unterscheiden vom „Otto Normalbürger“, der ihnen begegnet, aber den Blickkontakt meidet, und weil sie unter großen Anstrengungen ihre schwierige Lebenssituation am Rande der Gesellschaft meistern, ohne es sich anmerken zu lassen.

Im Heppenheimer Haus der Kirche gibt es jetzt die Gelegenheit, sich die Augen für das Schicksal von Wohnsitzlosen öffnen zu lassen und gewissermaßen Blickkontakt aufzunehmen: Noch bis zum 26. Mai ist im Verwaltungsgebäude des Evangelischen Dekanats Bergstraße (Ludwigstraße 13) eine Auswahl von Fotografien zu sehen, die von „Ratsche“, „Samet“ und Roland Bodenschatz – drei Menschen ohne Wohnsitz – aufgenommen wurden. Das Trio stellt dort unter der Überschrift „Ansichtssachen“ aus.

Dekan Arno Kreh freute sich bei der Ausstellungseröffnung mit Präses Ute Gölz und Tobias Lauer, Leiter der Regionalen Diakonie Bergstraße, sehr darüber, dass die Werkschau, die im vergangenen November erstmals im Café Storch des Bensheimer Familienzentrums gezeigt wurde, jetzt auch in der Kreisstadt zu sehen ist. Mit der Ausstellung, die nur wenige Aufnahmen von „der Platte“ – so nennt man den Schlafplatz von Obdachlosen – zeigt, dafür aber viel mehr Motive, wie „Ratsche“, „Samet“ und Roland Bodenschatz die Welt sehen, „werden die unsichtbaren Wohnsitzlosen, die mitten unter uns leben, sichtbar gemacht“, so Kreh.

Sabine Allmenröder, Referentin für Gesellschaftliche Verantwortung des Dekanats, hat die Ausstellung gemeinsam mit Rolf Müggenburg, dem Schatzmeister des Bensheimer Fördervereins „Hilfen für Wohnungslose“, ins Haus der Kirche geholt. „Die Ausstellung ,Ansichtssachen‘ ermöglicht es uns, die Welt so zu sehen, wie sie die Künstlerinnen und Künstler durch die Sucher ihrer Kameras gesehen haben“, so Sabine Allmenröder – und die Perspektive der Wohnsitzlosen auf unsere gemeinsame Welt unterscheidet sich in nichts von der Perspektive der „Otto Normalbürger“. Auf den zwölf großen Foto-Tafeln an den Wänden im Erdgeschoss des Hauses der Kirche dominieren Motive wie Gebäude, Fahrzeuge oder Details im öffentlichen Raum, architektonischer Verfall, überwucherte Zivilisationsreste, Blumen- oder Naturfotografien.

Rolf Müggenburg ist auch der Initiator dieses besonderen Kunstprojekts: der ambitionierte Hobbyfotograf organisierte vor mittlerweile drei Jahren auf Spendenbasis zehn einfache – analoge – Kameras. Sie konnten von Menschen, die im Zentrum der Wohnungslosenhilfe der Diakonie am Weidenring in Bensheim ein- und ausgingen, benutzt werden. Das Ziel, mit den Motiven eine Ausstellung zu bestücken, hat Müggenburg nie aus den Augen verloren, aber sowohl die Coronavirus-Pandemie als auch die Wanderungsbewegung der Künstlerinnen und Künstler bremste das Projekt aus.

Am Ende kamen 250 Motive in die engere Auswahl, mit rund 100 Bildern wurde dann die Ausstellung bestückt. „Entstanden ist keine Dokumentation über die Situation von Wohnungslosen“, so Rolf Müggenburg bei der Ausstellungseröffnung im Haus der Kirche: „Und aus den Motiven lassen sich keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob da nun ein Mensch ohne oder mit Wohnsitz fotografiert hat.“ Bei den Bildern handele es sich „um das subjektive Empfinden von Schönheit“, wie es nun einmal jedem Menschen innewohne: „Nur haben Wohnsitzlose nicht die Gelegenheit, das sichtbar zu mache, ihr Talent zu zeigen.“

Elke Ditter, Vorsitzende des Fördervereins „Hilfen für Wohnungslose“, nutzte die Ausstellungseröffnung, um die Arbeit des Vereins vorzustellen, der 1996 mit Blick auf den Bau des Zentrums der Wohnungslosenhilfe in Bensheim gegründet wurde. Damals galt es eine Finanzierungslücke von 100.000 Euro mit Spendenmitteln zu schließen – über zwei Jahrzehnte später haben die Ehrenamtlichen sage und schreibe 660.000 Euro eingeworben, um die Situation von Wohnungslosen zu verbessern. Aktuell werden in zehn sogenannten Wiedereingliederungs-Appartements neue Küchen eingebaut.

Dass Wohnungslosigkeit sich verändert hat, das wiederum erfuhren die Teilnehmer der Ausstellungseröffnung von Björn Metzgen, Bereichsleiter der Wohnungsnotfallhilfe der Regionalen Diakonie Bergstraße. Das ohnehin arg strapazierte, fast schon romantisierende Bild vom freiheitsliebenden Durchreisenden, dem sogenannten „Berber“, der sein Schicksal selbst gewählt hat, bildet längst nicht mehr die Wirklichkeit ab, wenn es überhaupt je zugetroffen hat. Heute sind unter den Wohnsitzlosen immer mehr Bergsträßer Bürger – Nachbarn sozusagen –, die von Obdachlosigkeit betroffen sind. Extrem hohe und seit Jahren weiter steigende Mieten, Überschuldung, Arbeitslosigkeit, Beziehungsprobleme, Süchte oder eine Mischung aus diesen Problemlagen sind die häufigsten Ursachen dafür.

Den Kommunen fehlt die Möglichkeit, diese Menschen unterzubringen – und auf dem klassischen Wohnungsmarkt sind sie chancenlos. 474 Menschen haben im vergangenen Jahr die Fachberatungsstelle der Diakonie für Nichtsesshafte beziehungsweise alleinstehende Wohnungslose aufgesucht. Und 117 Menschen wurden in 2022 im Zentrum der Wohnungslosenhilfe mit insgesamt 3515 Übernachtungen registriert.

Die Ausstellung „Ansichtssachen“ der drei Künstler „Ratsche“, „Samet“ und Roland Bodenschatz ist im Heppenheimer Haus der Kirche (Ludwigstraße 13) noch bis zum 26. Mai zu sehen (Öffnungszeiten: montags von 9 bis 12 Uhr sowie dienstags bis freitags von 9 bis 12 Uhr sowie von 14 bis 16 Uhr).

 

Quelle: Dekanat Bergstraße (mr), 02.05.2023
Foto: Michael Ränker

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